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Ursprünglich veröffentlicht im "The Future has a Silver Lining: Geneologies of Glamour", ed. by Tom Holert und Heike Munder, (Zürich: Migros Museum für Gegenwartskunst/JRP Ringier, 2004). Übersetzung: Clara Drechsler. Das englische Wort "glamour" hat seine Wurzeln im schottischen "grammar" im Sinne von "gramarye", das soviel wie "Magie" bedeutet. Da dieser Text in Deutsch erscheinen soll, möchte ich mich nicht zu lange mit englischer Semantik aufhalten - ich glaube allerdings, das auch im deutschen Wort "Zaubern" eine Beziehung zwischen Glamour und Magie mitschwingt/angedeutet ist. Sagen wir einfach, dass unsere Vorstellungen von Glamour weitestgehend immer noch um Bezauberung, Illusion, mysteriöse und schwer greifbare Faszination oder magische Anziehungskraft kreisen ... und wie alles Magische ist Glamour ebenfalls eng verknüpft mit Gaukelei, falschen Vorspiegelungen und Betrug. Jede Gesellschaft hat ihre Hohepriester des Glamour und ihre Zauberer und Zauberinnen - diejenigen, die sich mithilfe größtenteils leerer/nichtiger Geheimnisse von anderen absetzen beziehungsweise über andere erheben. Im alten Westeuropa (?) waren das ursprünglich die heidnischen und nicht-christlichen in der "schwarzen Kunst" Bewanderten - Dorfälteste, Ratgeber und Heiler. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie durch christliche Magier, Priester und andere Erfüllungsgehilfen des Papstes abgelöst - nach wie vor der mächtigste und prunkvollste Magier von allen. gramarye und Vergöttlichung spielten auch eine wichtige Rolle für den Machterhalt der herrschenden Klasse in der westlichen Zivilisation. Genau wie der Vatikan bediente sich die Oberschicht der Prachtentfaltung als Mittel, die unteren Klassen mit Einblicken in den Himmel auf Erden zu blenden - ein derart fremdländischer und unerreichbarer Lebensstil, dass er nur Ergebnis einer Vergöttlichung sein konnte. Es ist der Zauber dieser Prachtentfaltung, der unsere gegenwärtige Vorstellung von Glamour bestimmt, den wir eher mit Reichtum als mit Magie assoziieren. Diese Definitionsverschiebung vom Allegorischen zum Materiellen deckt sich mit Veränderungen darin, wie und zu welchem Zweck Magie eingesetzt wird. Sie markiert die "Zivilisierungsschlacht" in Westeuropa, über deren Brutalität wir an jedem ersten April lachen, wenn wir uns gegenseitig Streiche spielen. Kaum jemandem ist bewusst, dass auf den 1. April das traditionelle heidnische Neujahr fällt, einer der heiligsten Tage im vorchristlichen Kalender. Der Ausdruck "April Fools" bezeichnet diejenigen, die diesen Tag feiern, also die Anhänger vorchristlicher Religionen. Der Brauch, sich in den April zu schicken, entstand aus der christlichen Tradition, Heiden zu verfolgen und deren Zusammenkünfte zu stören. Dass darüber kein Zweifel aufkommt: anders als viele meiner queeren Schwestern und Brüder habe ich keine romantische Neigung zum Paganismus, auch nicht zum Christentum oder anderen, die mit irgendwelchen Naturalismen oder Spiritualismen hausieren gehen. Für mich sind sie alle gleich öde und gleich gefährlich. Es steht allerdings außer Frage, dass die historische Verfolgung von Heiden eindeutig mit der Verfolgung von "Sodomiten" und anderen "sexuell Abartigen" verknüpft war, die wir heute als Lesben oder Schwule bezeichnen würden und von denen viele als Hexen oder Hexer gefoltert und ermordet wurden. Um noch einmal kurz auf englische Semantik zurückzukommen: Der Beleg dafür, wie oft "sexuell Abartige" öffentlich verbrannt wurden, ist die Tatsache, dass das britisch-englische Wort für einen kleinen Zweig oder Kienspan, "faggot", sich als abfällige Bezeichnung für Lesben oder Schwule erhalten hat. In diesem Sinne ist die Geschichte von Glamour oder gramarye zugleich eine Geschichte der Verfolgung wie des Widerstands - zum luxusorientierten Glamour von heute gab es damit eine Art von Glamour, der zumindest eine Zeitlang als Bedrohung für Monotheismus, Klassismus und die neu aufkommenden Gesellschaftsordnungen, die im heutigen postindustriellen Kapitalismus mündeten, galt. Wenn wir die historischen und sozialen Fuktionen von Glamour erörtern, gehören dazu nicht nur der Gegensatz zwischen dem Glamourösen und Unglamourösen, sondern auch seit langem bestehende Gegensätze zwischen verschiedenen Formen von gramarye selbst. In ein und derselben Gesellschaft finden wir zahlreiche historische Gemeinsamkeiten und Konflikte. In den Queer-Communities spiegelt sich diese historische Vielfalt ebenfalls wieder, von campen Glam-Queens bis zu Heiler-Performern à la A.A. Bronson.
Hat Glamour unbedingt etwas mit Gender-Selbstdarstellung zu tun? Frag irgendeinen X-Beliebigen nach irgendwem, den er glamöurös findet, und er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Frau nennen - vielleicht eine Schauspielerin, eine Sängerin, einen Showstar oder eine Angehörige der königlichen Familie. Man darf also wohl davon ausgehen, dass Glamour heute weitgehend eher mit femininem Image als mit maskulinem Image verbunden wird, und darin ein Konstrukt von Weiblichkeit ist - und eine feministische Streitfrage. Die Kritik vieler Mainstream-Feministinnen an unrealistischen weiblichen Schönheitsidealen hat sich immer gegen die Idee von Glamour gerichtet, besonders gegen die Art und Weise, wie Glamour in den Medien zum Einsatz kommt, um den weiblichen Körper zum Objekt zu machen. In ähnlicher Weise hat feministische Kunst besonders eine anti-glamouröse Bildersprache herangezogen, um Glamour zu neutralisieren und den weiblichen Körper in unspektakulär-prosaischer Weise darzustellen (wie Yve Lomax und Mary Yates), oder der magischen Anziehungskraft des Glamour kunstvolle Antibilder grotesker Deformierungen entgegengesetzt (wie die Fotos von Cindy Sherman aus den frühen Neunzigern). Die paar Männer dagegen, die wir mit Glamour verbinden, werden ebenfalls weitgehend mit einem femininem Image assoziiert, von Dandys bis zu Glamrockern. Wenn wir an Männer mit Glamour denken, denken wir an Modedesigner, Hairstylisten, Schauspieler, Musiker, Künstler und Männer jedes anderen Berufs, bei dem man ein starkes Übergewicht an exaltierten Tucken unterstellt. Ja, meine Lieben, ich glaube, man darf mit Sicherheit behaupten, dass der moderne luxusbesessene Glamour ins Feminine lappt - eine Tatsache, die dann bedeutsam wird, wenn wir über die Beziehung zwischen Glamour und Körper nachdenken und versuchen, diese Beziehung kritisch zu analysieren oder für uns nutzbar zu machen. Es ist nicht zu übersehen, dass innerhalb der Transgender-Communities die Vorstellung von Glamour fast ausschließlich mit MzFs und femininem Image assoziiert wird. Die Verbindung zwischen MzFs und Glamour rührt zum Teil von alten Traditionen her, die Frauen öffentliche Bühnenauftritte untersagten, wodurch es erforderlich war, dass alle weiblichen Rollen von Männern gespielt wurden. Die Extravaganz des Theaters bot MzFs historisch einen kulturell akzeptablen Punkt kultureller Sichtbarkeit, auch wenn diese Akzeptanz auf die Bühne beschränkt blieb. Die Geschichte der Frau-zu-Mann-Kultur (FzM-Kultur) hat dagegen wenig mit Glamour zu tun. Die FzM-Kultur beschränkt sich hauptsächlich darauf, dass Frauen als Männer "durchzugehen" versuchen, etwa in Männerberufen oder in der Armee - das sogenannte "Passing". Während sich viele Elemente der MzF-Kultur im Zusammenhang mit Ideen von Spektakel und Parodien von Weiblichkeit entwickelten, entwickelte sich die FzM-Kultur im Rahmen des Anti-Spektakulären und der Assimilation an Männlichkeit. Die Probleme des "Passing" unter FzMs unterscheiden sich auch darin von denen der MzFs, dass sie eng an den Kampf um das Recht auf Arbeit und Privatbesitz für Frauen gekoppelt sind. Die Requisiten, die erforderlich sind, wenn FzMs sich der männlichen Arbeiterklasse anzuschließen versuchen (im typischen Fall, indem sie sich in eine ökonomisch schwache, körperliche Arbeit leistende Arbeiterklasse einreihen), sind deutlich andere als die, deren sich MzFs bedienen, von denen viele im Alltag ohnehin bereits dieser männlichen Arbeiterklasse angehören. Als materielle Strategie zur Transformation des Körpers kommt Glamour daher in FzM-Communities kaum zum Tragen. Darüber hinaus lehnen FzMs normalerweise jeden femininen Schnickschnack wie Abendkleider, Accessoires, Schmuck, Kosmetik und ähnliches ab. Selbst wenn FzMs sich gewisser Zeichen von Luxus bedienen, wie in der Kultur der Onabe in Japan, lesbische Wirtinnen in edlen Herrenanzügen, die Getränke an ihre feminin gekleideten weiblichen Gäste ausschenken, liegt ihre Magie darin, wie überzeugend sie sich als "ganz normaler Mann" präsentieren. Das ist eine Illusion ganz anderer Art, als Glamour sie bietet, der mit dem Image von etwas Irrealem oder Unerreichbarem arbeitet. Daher ist bei Diskussionen über Glamour die Abwesenheit von FzM-Content komplexer als MzF-Show-Queens, die sich ins Rampenlicht drängen (es ist wichtig, dies festzuhalten, weil die Dominanz von MzF-Fragen in den meisten Diskussionen unter Transgendern einen gewissen Grad von "männlicher" Vorherrschaft und Frauenfeindlichkeit in Transgender-Communities hineinträgt). Das Scheinwerferlicht auf MzFs mag aus dem Publikum warm und freundlich aussehen, aber auf der Bühne kann es versengen, bloßstellen und vor allem blenden. Ist "Camp-Glam" eine Kritik an oder reine Kapitulation vor der sozialen Einseitigkeit eines luxusorientierten Haute-Couture-Glamours? Heutzutage sind die Tunten die Bewahrer des Glamour. Die Diven. Die Drag Queens und MzF-Transsexuellen. Innerhalb dieser Communitys beschlich mich immer ein gewisses Unbehagen angesichts einer weitverbreiteten Tendenz, unser eigene Vorstellung von gramarye in eine billige Imitation der "wirklich Glamourösen" zu fassen - Prominente und Models, deren magische Anziehungskraft auf dem Zauber des Luxus beruht. Es fällt auf, dass die gramarye einiger Magier mächtiger als die von anderen ist, abhängig vom sozialen System, aus dem sie ihre Repräsentationsmacht beziehen. In diesem Sinne sind Transgender-Communities nur bedingt glamourös. Die meisten Menschen würden zustimmen, dass die Schauspielerin Elizabeth Taylor einen wahrhaft glamourösen Lebensstil hat, wohingegen Transgender, Sängerin und Celebrity RuPaul eine andere Art von Glamour beschwört. (Die Quelle von Chers Macht dürfte irgendwo dazwischen zu lokalisieren sein.) (Abb. 1) RuPaul operiert zwar in Celebritykreisen, aber ihr offenes Transgendertum und ihre Homosexualität lassen etwas Invasives und Betrügerisches an ihrem Glamour durchblicken. Trotz RuPauls "Echtheit" ist das Image von Glamour, das sie vermittelt, nie so "echt" wie das von Liz - RuPauls Pop-Auftreten erzeugt Zweifel und Spannungen, die möglicherweise auf eine früher einmal dagewesene Bedrohung hindeuten - einen historischen Konflikt zwischen den gramaryes, durch die der Transgenderkörper sowohl "Außenseiter" wie "Verlierer" wurde. So gesehen offenbart die Pop-Glam-Diva ein Moment der Destabilisierung, eine soziale Infiltration, die eine kurze Infragestellung der Macht erkennen lässt, und in diesem aufblitzenden Infragestellen steckt vielleicht irgendwo das Potential zum Widerstand ... So ähnlich wird es uns jedenfalls immer gesagt. Abb.1 Glamour-Schatten (von links nach rechts): RuPaul, Cher und Elizabeth Taylor. Uns wird gesagt, dass irgendeine Drag Queen den Status einer Pop-Celebrity errungen hat (heterosexuelle männliche Komiker in Frauenkleider beiseite gelassen), würde automatisch die herrschende Kultur infragestellen und wäre damit ein fabelhafter Anlass zum Feiern. Es ist gewissermaßen ein Markenzeichen der Gay-and-Lesbian-Pride-Bewegung. Es ist ein Anzeichen für die zunehmende öffentliche Akzeptanz der Anliegen von Queers und Transgendern. Es ist der Beweis, dass wir es "geschafft haben" (eine Deklaration des Angekommenseins, von der ich immer schon fand, dass sie mit der anderen omnipräsenten Schwulen-und-Lesben-Losung "wir sind überall" nicht ganz vereinbar ist). Aber ist das tatsächlich so? Solange die öffentliche Akzeptanz einer MzF nach ihrer Fähigkeit gemessen wird, glamourösen Anforderungen an Körper und Stil gerecht zu werden, die für die meisten "echten" Frauen unerreichbar bleiben, bitte ich euch, dem Transgender-Verfasser nachzusehen, dass er sich durch RuPaul nicht mehr "repräsentiert" fühlt als meine Mutter sich durch Marylin Monroe oder Prinzessin Di repräsentiert fühlt. Glamour ist ein zweifelhaftes Forum für kritische Politik, weil er soziale Distanz, nicht soziale Integration bedeutet. Das Versprechen der Pop-Glam-Diva ist nicht das Versprechen auf soziale Transformation sondern auf individuelle Transformation, durch die der Ausgebeutete zum Ausbeuter wird. Es ist das Versprechen der sozialen Mobilität der/des Einzelnen, keine soziale Verbesserung oder Kritik an der Klassengesellschaft. Es ist mehr oder weniger der Amerikanische Traum. Ein Traum, dessen Zauber nicht auf die seltsamen Lebensziele eines Transgender-Dolly-Parton-Imitators beschränkt ist, sondern sich auch auf die noch seltsameren Träume all derer erstreckt, die ihren Arbeitsmarkt konstituieren - diejenigen, die dafür bezahlen, sie zu sehen. (Abb. 2) Abb.2 Wen kümmert's? Merkwürdig, irgendjemand, irgendwo ... Dolly Parton (links) mit professionellen Parton-DarstellerInnen. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass Glamour auf der Magie des Luxus beruht - ein Repräsentationsinstrument, das mit Illusion arbeitet -, was nicht bedeuten muss, dass diejenigen, die diesen Zauber ausüben, tatsächlich das Luxusleben führen, das sie vorspiegeln. Besonders in unserer von Replikaten und Duplikaten gekennzeichneten postmodernen Ära verweist die kommerzielle Verfügbarkeit von Glamour-Ware zum Billigpreis auf die illusorische Natur von Glamour. Glamour signalisiert Klasse, schlägt sich aber nicht unbedingt in Klasse nieder. Das beste Beispiel: die vielleicht größte Glamour-Lifestyle-Industrie im Westen ist Sexarbeit - ein eindeutig deklassierter Lebensstil für die Beteiligten. Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen, Stripper und Stripperinnen und andere, die "nicht jugendfreie" Unterhaltung bieten, arbeiten mit Glamour - über Kleidung, Kosmetik, Schönheitsoperationen, Glitzerlicht und Musik -, um "Freier" dazu zu bringen, kurzzeitig an einem glamourösen Lebensstil zu partizipieren. Durch diese soziale Transaktion werden die Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen selbst zu Luxuswaren zum Billigpreis. Und eine der größten Illusionen überhaupt ist dabei die völlig verdrehte Art und Weise, eine gnadenlos ausgebeutete Sexarbeiterklasse als symbolischen Ausbeuter hinzustellen, der die magische Gabe hat, "gute Männer" zu verführen und zu korrumpieren. Natürlich ist die kriminelle gramarye des Sexarbeiters machtlos gegen die Wucht der gesellschaftlichen achtung, und es sind immer die Sexarbeiter, die weit schwerwiegendere strafrechtliche Folgen zu tragen haben als die Freier. Bei der Sexarbeit sind die Glamoureffekte immer im Fluss - die Illusion ermächtigt und trügt den Magier, der sie ausübt. Nach meiner Erfahrung als DJ in einem Club für transsexuelle SexarbeiterInnen in New York war es offensichtlich, dass selbst unabhängige Mädchen, die keinen Zuhälter bezahlen mussten, ihre Luxuskörper, die ständig Minus machten, weil Kosmetik, Hormonbehandlungen, Operationen, Drogen und andere Instandhaltungsarbeiten, die vonnöten waren, um Rauch und Spiegel (oder Koks und Spiegel) aufrechtzuerhalten, so ins Geld gingen, lediglich "leasten". Obwohl ich ein Fürsprecher der Legalisierung von Sexarbeit bin, erscheinen mir daher die vorherrschenden Repräsentationssysteme, deren sie sich bedient, einschließlich Glamour (besonders im Westen) als unrealistische Mittel für Sexarbeiter, psychologische oder materielle Selbstverwirklichung zu finden. Für viele von denen, die Selbstermächtigung durch Sexarbeit für sich in Anspruch nehmen, wird Glamour zum Opiat, durch das sie die emotionalen und körperlichen Belastungen zu kompensieren versuchen. Eine Alternative zu diesem ziemlich trostlosen und resignativen Glamour-Ansatz ist Camp. Man denke an die 120 Kilo schwere Komikertunte, die der Welt befielt, sie nicht ernst zu nehmen (obwohl meiner Erfahrung nach gerade die campen 120-Kilo-Drag-Queens zumeist die professionellsten und ernsthaftesten Bühnenstars sind). Man könnte argumentieren, dass sie konventionelle Sichtweisen des weiblichen Körpers satirisch ins Gegenteil verkehrt. Trotzdem finden wir auch in dieser Welt des Camp wenige Zeichen, die auf eine Welt ausserhalb eines luxusbesessenen Glamour verweisen. Die Camp-Queen orientiert sich ebenso am Warenfetischismus wie die "echte" Glam-Queen, wenn nicht noch mehr (Leigh Bowery zum Beispiel). Ihr Modell von Körperdarstellung ist immer noch auf Verpackung fixiert. Und dann gibt es da noch das hässliche Entlein, dessen billige Pailletten nichts weiter beschwören als die totale Abwesenheit von Glamour. Das hässliche Entlein ist eine Glamour-Implosion, in der die Zeichen für Glamour in sich selbst zusammenstürzen. (Abb. 3) Andererseits entzieht es sich auch wieder nicht den Lockungen des Glamour, das hässliche Entlein sagt damit nur aus, dass es das Unglamouröse, das Unreiche, das Unprofessionelle und Unattraktive darstellt. Abb.3 Glamour-Implosion (von links nach rechts): Cher, Professioneller Transgender-Cher-Darsteller, selbstgestrickt-tragische Cher und Dolly, professioneller Transgender-Dolly-Parton-Darsteller, und Dolly Parton. Was natürlich die Realität für die meisten unter uns ist. Die unrealistischen weiblichen Schönheitsideale einer Gesellschaft werden noch unrealistischer, wenn sie von Nicht-Frauen angestrebt werden. Viele Transgender verlassen niemals ihre Wohnung, ziehen sich im Geheimen und allein an, weil sie die körperlichen und verbalen Angriffe fürchten, die von Fremden genauso kommen wie von Freunden und Menschen, die man liebt. Andere verstecken ihr Transgendertum, indem sie in "Schutzraum"-Clubs eintreten, wo sie ihren Drag aufbewahren und sich umziehen, wenn sie sicher drinnen sind. Hinzu kommt, dass trotz der immer noch vorherrschenden Legende vom Karriere-Schwulen ohne Frau und Kinder, für den Geld keine Rolle spielt, die Realität immer noch so aussieht, dass die Mehrheit der Schwulen und Lesben weiterhin unter der Armutsgrenze lebt, wobei Transgender am unteren Ende angesiedelt sind, nur FzMs haben es noch schlechter. In der Realität bringt Transgender nicht viel Glamour oder gramarye mit sich - nur die Machenschaften einer schamhaften "Geheimgesellschaft" mit vielen mysteriöser Zeremonien in dunklen Ecken. Wenn die Mehrheit der Transgender-Körper - selbst von ihresgleichen - ungesehen bleibt, was bedeutet es da überhaupt, die Darstellungen des Transgender-Körpers zu diskutieren? Woran wollen wir einen solchen Körper überhaupt identifizieren? Davon ausgehend, dass es der Mehrheit der MzFs wie der Frauen nicht gelingt, sich ein Glamour-Image zuzulegen und dass feministische visuelle Theorien viele soziale Prozesse hinter den Darstellungen des weiblichen Körpers offengelegt haben - können diese Theorien dann auch die Darstellungen von Transgender-Körpern erklären? Ein großer Teil der feministischen visuellen Theorie konzentriert sich auf den Subjekt/Objekt-Widerspruch, der in dem bekannten Zitat von John Berger umrissen ist:
(John Berger [u.a.], Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt [1972], übers. von Axel Schenck, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1974, S. 43) Ebenso ergibt sich sowohl für MzF- wie für FzM-Transgender sich ein ungeheures Maß an Selbstüberwachung, besonders bedingt durch den sozialen Druck, als Mann beziehungsweise Frau "durchgehen" zu müssen. Die Transgender-Identität erfordert also ein ähnliches multiples Bewusstsein von sich selbst als Prüfer und Geprüftem. Der entscheidende Unterschied tritt jedoch auf, wenn wir darüber nachdenken, wie sich die Subjekt/Objekt-Formel zum physischen Körper verhält. Für Frauen bleibt der physische Körper vereinbar mit den Zielobjekten der Überwachung. Ob eine Frau als "weiblich" oder "unweiblich" beurteilt wird, der physische Frauenkörper bleibt sichtbar und als das Ziel solcher Qualitätsurteile identifizierbar. Im Falle des Transgender-Körpers ist der physische Körper jedoch nicht vereinbar mit dem Anliegen der Überwachung. Wenn zum Beispiel eine MzF als "weiblich" oder "unweiblich" ("passabel" oder "unmöglich", "umwerfend" oder "unansehnlich") beurteilt wird, ist das Ziel solcher Qualitätsurteile nicht der Transgenderkörper, sondern der Frauenkörper. Ähnlich ist es für FzMs, deren "Männlichkeit" daran gemessen wird, wie es ihnen gelingt, Bilder eines Männerkörpers zu beschwören. Sowohl das Ge- wie das Misslingen des Erscheinungsbilds eines Transgenders zeigen, dass ein anderer Körper erwartet wird, als der, den wir vor uns haben. Als Transgender gewöhnen wir uns daran, uns selbst im Verhältnis zu einem fremden Körper zu überwachen. Der physische Transgender-Körper existiert also auf einer sozialen Ebene, die unsichtbar bleibt und die nicht berücksichtigt wird, weder vom Transgender selbst noch von anderen Betrachtern. Trotz der vielen Überprüfungsprozesse, die dazu gehören, eine Transgender-Identität zu formen, bleibt in den meisten Fällen der physische Transgender-Körper selbst völlig unüberprüft. Während ein großer Teil der Identitätspolitik sich darum dreht, dass eine entrechtete Gruppe um "Sichtbarkeit" kämpft, scheint in den Transgender-Communities der Kampf um "Sichtbarkeit" nicht mehr als ein Kampf um eine alternative "Unsichtbarkeit" zu sein. Ich finde diese alternative Unsichtbarkeit inspirierend, weil sie, wenn man es positiv sieht, impliziert, dass der Transgender-Körper sich den dominierenden Repräsentationssystemen entzogen hat und unter der Radargrenze operiert. In dieser Erkenntnis liegt potentielle Freiheit - keine transformatorische oder erlösende Freiheit vielleicht, aber eine Freiheit für den Moment. Ein Zauberbann, um jeden Zauberbann zu brechen. Diesen Gedanken entwickelte ich angesichts einer Serie ziemlich harmloser Plakate, die mir seit meiner Kindheit im Gedächtnis geblieben sind. Es war eine Anti-Raucher-Kampagne der American Cancer Society (ACS). (Abb.4) Die Plakate wurden von den Gesundheitsämtern ausgegeben und hingen überall in öffentlichen Schulen, Bibliotheken, Krankenhäusern, Ämtern und Behörden. Unglücklicherweise findet sich im Archiv der ACS nichts über die Produktion dieser Kampagne, es existieren also keine genauen Angaben über den Fotografen, die Menschen auf den Fotos oder auch nur das Veröffentlichungsdatum (das scheint entweder Ende der 1960er oder Anfang der 1970er gewesen zu sein - ich erinnere mich, die Plakate noch bis Mitte der 1980er hängen gesehen zu haben). Man darf mit Sicherheit annehmen, dass die ACS die Plakate als simplen Kontrast zwischen Text und Bildern gedeutet sehen wollte - ein Kontrast, an dem besonders der Einsatz eines derart krassen Sarkasmus in einer Kampagne der öffentlichen Wohlfahrt bemerkenswert ist. Denkt man länger darüber nach, stellt die Serie jedoch ein wundersames Triptychon dar, das einige überlappende und komplexe Repräsentations-Probleme/Themen wie Klasse, Ökonomie und Gender/Geschlechtsidentität beinhaltet - Fragen der Repräsentation, die einen Eiertanz in der Grauzone zwischen schwarzem Humor und Unsensibilität versuchen. Mir scheint, diese Spannung ergibt sich daraus, dass nicht ganz klar ist, ob den Bildern in ihrem Repräsentation-Spiel eine aktive oder passive Rolle zukommt ... dieselbe Frage, die sich auch bei vielen Transgender-Körpern stellt. Abb.4 Dem Thema Feuer geben: Anti-Rauchen-Plakate der Amerikanischen Krebsgesellschaft, c.1970. Das offensichtlichste Repräsentations-Thema, das von den Plakaten aufgegriffen wird, ist Klassenzugehörigkeit, auf die sich zwei unterschiedliche Kontexte auswirken. Der erste Kontext ist die Werbung. Die Bilder der ACS antworten unübersehbar auf die für damals typischen Hollywood-Glamour-Anzeigen der Tabakindustrie, indem sie den Spieß einfach herumdrehen. Dieser Angriff auf die Welt der Werbung impliziert eine aktiven Versuch, solche Fragen der Repräsentation anzusprechen. Sollte das jedoch der Fall sein, versagen die Plakate insofern, als es ihnen nicht gelingt, zu fragen: "Was ist eigentlich glamourös/lässig-elegant/distinguiert?" ("what is glamorous/debonair/sophisticated?"). Statt die Art von Bildern, die von der Werbung generiert werden, zurückzuweisen oder Alternativen anzubieten, zeigen sie uns einfach Bilder, von denen auch die Werbeindustrie sagen würde, dass sie alles andere als glamourös/lässig-elegant/distinguiert sind. Dominierende ökonomische und Klassenunterschiede bleiben intakt, wenn sie nicht sogar verstärkt werden. Dieses Problem wird durch den zweiten Kontext noch verschlimmert, nämlich den sozialen Kontext der Präsentation. Die Plakate hingen üblicherweise in deprimierenden Amtszimmern, die zumeist von den unteren Einkommensklassen frequentiert wurden. Ich wage zu behaupten, dass in diesem Kontext jede Ironie der Klassenunterschiede, wie sie in Werbespielchen eingesetzt wird, verschwendet ist. Ehe ich fortfahre, sollte ich vielleicht noch anmerken, dass zwei zentrale Annahmen, von denen ich bei diesen Plakaten ausgehe, möglicherweise beide unzutreffend sind (die ich euch jedoch bitte, um der Argumentation willen als gegeben hinzunehmen). Erstens bin ich seit meiner Kindheit davon ausgegangen, dass es sich bei dem Modell sowohl für das "Glamourös"("glamorous") - wie für das "Lässig-elegant"("debonair")-Poster um den Komiker Don Knotts handelt (manchen vielleicht bekannt als der nervige Nachbar aus Matlock oder der Vermieter Mr. Roper aus Herzbube mit 2 Damen), während das "Kultiviert"("sophisticated")-Plakat entweder ein unbekanntes Modell oder ein dokumentarisches Archiv-Foto zeigt. Des Weiteren nehme ich an, dass das "Glamourös"-Foto an Frauen gerichtet ist, eigentlich jedoch einen Transgender zeigt. Unglücklicherweise war die ACS trotz mehrerer Nachfragen nicht in der Lage, eine dieser Annahmen zu bestätigen oder zu widerlegen. Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, werde ich meine Annahme, dass es sich bei dem Modell auf dem "Glamourös"- und dem "Lässig-elegant"-Foto um Knotts handelt, rechtfertigen wie folgt: Beide Bilder sehen aus wie er, von vorne und im Profil; und dass ein bekannter Schauspieler für Mann/Frau-Fotos posiert hat, scheint mir der plausibelste Grund dafür zu sein, in eine Kampagne, die ansonsten mit Fotos im Dokumentarstil arbeitet, ein Transgender-Bild einzufügen (besonders, wenn es sich um eine staatliche Kampagne handelt, die normalerweise über den kleinste gemeinsamen Nenner ihre Adressaten zu erreichen versucht). Wenn es Knotts ist, sind das "Glamourös"- und das "Lässig-elegant"-Foto in diesem Sinne ganz klar "gestellt" und nicht "dokumentarisch". Darüber hinaus ist auf beiden der Textblock etwa gleich groß, was vermuten lässt, dass sie zusammen designt wurden, wogegen das "Kultiviert"-Plakat nicht denselben Gestaltungeregeln folgt und das Foto ganz eindeutig eine andere Person zeigt. Die Anonymität des Modells auf dem "Kultiviert"-Foto gibt ihm außerdem einen mehr dokumentarischen Touch. Das alles unterscheidet das "Kultiviert"-Plakat vom "Glamourös"- und "Lässig-elegant"-Plakat und lässt sogar vermuten, dass es zu einer früheren oder späteren Zeit entstanden ist als die anderen beiden. Wir haben also innerhalb einer Serie eine ungewöhnlichen Repräsentations-Verschiebung von der Star- zur Dokumentarfotografie oder umgekehrt. In beiden Fällen ist die Herangehensweise an Fragen der Repräsentation auf den drei Plakaten uneinheitlich - ein Schnitzer, den man in einer zusammenhängenden Bilderkampagne selten sieht. Es ist ein gedankenloser Wechsel, der offenlegt, wie wir die Prozesse, durch die wir den Körper überprüfen und darstellen, "ungedacht machen", was es den Leuten ermöglicht, ohne es zu merken oder stutzig zu werden, den Sprung von "Fiktion" zu "Tatsache" zu vollziehen. Ob diese Bilder "dokumentarisch" oder "Starfotografie" sind, scheint zentral dafür zu sein, inwieweit diese Bilder Fragen der Repräsentation aktiv oder passiv aufgreifen. Die Plakate verkomplizieren sich noch mehr, wenn man ihre Repräsentation der Geschlechtertrennungen betrachtet. Auf die Frage zurückkommend, ob Glamour unbedingt an Gender-Selbstdarstellung geknüpft ist, sehen wir hier Glamour ganz klar mit Weiblichkeit assoziiert. Ungewöhnlich an dieser Bilderserie ist jedoch, dass der Körper, der dazu ausgesucht wurde, Weiblichkeit zu repräsentieren, keine Frau ist, sondern eine schlampige Drag Queen - ungeschminkt, auf dem Kopf eine Perücke wie ein Mopp, unter der man deutlich den Haaransatz sieht. Auf den ersten Blick scheint sich das "Glamourös"-Plakat auf dieselben simplen Gegensätze von Text und Bild zu verlassen, wie wir sie auch bei dem "Lässig-elegant"- und dem "Kultiviert"-Plakat finden. Geht man vom Text aus, wird man sofort darauf gestoßen, dass hier eins fehlt: das Bild einer glamourösen Frau. Aber wenn man es genau nimmt (und hier kommen wir zu den früher angesprochenen Unterschieden zwischen den Subjekt/Objekt-Widersprüchen für Frauen und Transgender), müsste das Gegenteil einer unglamourösen Drag Queen eigentlich die glamouröse Drag Queen sein, und nicht eine glamouröse Frau. Trotzdem darf man mit Sicherheit sagen, dass die meisten Leute, die das Plakat sehen, das Bild nur mit Vorstellungen von einer glamourösen Frau verbinden und die Existenz eines solchen naheliegenderen Transgender-Gegenteils gar nicht erst in Betracht ziehen. Das Plakat ist eindeutig auf die Überwachung von Frauen gemünzt und appelliert an die Prozesse ihrer Selbst-Überwachung, indem es sagt: "Rauch nicht, oder du wirst am Ende derartig unglamourös aussehen". Das "Lässig-elegant"- und das "Kultiviert"-Plakat appellieren in ähnlicher Weise an den Sinn für Selbst-Überwachung bei Männern (ein Thema, das feministische und Gender-Theorien bedauerlicherweise oft ausklammern). Anders als auf dem "Glamour"-Plakat bleiben die physischen Körper der männlichen Modelle jedoch vereinbar mit den Zielobjekten des Überwachungsakts - die Modelle sind Männer, und die Bilder arbeiten mit gängigen Vorstellungen von kultivierten und schicken Männern. Durch wiederholte Konfrontation mit diesen Plakaten in Wartezimmern beim Arzt und anderswo, wo ich nichts besseres zu tun hatte, außer zu gucken und mir Gedanken zu machen, begann ich nach und nach zu sehen, dass Repräsentations-Prozesse um Transgender-Körper immer in Ablenkungen von materiellen Körpern wurzeln und daher eher die sozialen Prozesse um den Körper repräsentieren als den eigentlichen physischen Körper einer Person. Tatsächlich ergibt sich die historische Kluft zwischen Feministinnen und Transgendern genau aus diesem Unterschied. Denn der ständige feministische Vorwurf an die Transgender-Bewegung ist ja, dass die meisten Transgender im Leben kein höheres Ziel kennen, als bevormundenden und konservativen Vorstellungen von der "richtigen Frau" beziehungsweise dem "richtigen Mann" nachzueifern und damit politisch hoffnungslos reaktionär und nicht zu gebrauchen sind. Natürlich ist dieser Vorwurf nicht ganz von den Hand zu weisen. Die Mehrheit der Transgender gehen an das Verhältnis zwischen ihrem Geschlecht und ihrem Identitätsgeschlecht allerdings mit enttäuschend essentialistischen Begriffen heran, etwa "im falschen Körper geboren" zu sein usw.. Der daraus folgende Drang, ihre Körper "richtigzustellen", ist der Drang nach "Normalisierung" im Sinne der dominanten Kultur und führt oft zu einer krampfhaften Fixierung auf das aller-"normalste", einfachste und eindimensionalste Modell ihres "anderen Geschlechts" - dessen Image fast immer ein reaktionäres Klischee ist. Ich habe kein Interesse daran, einen solchen essentialistischen Standpunkt zu verteidigen, aber ich kann damit sympathisieren. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Transgender von Geburt an mit denselben dominierenden kulturellen Ideologien indoktriniert sind wie alle anderen, und eine Assimilation solcher rückschrittlichen Modelle von Geschlechtsidentität durch Transgender entspricht der Positionierung des Transgenders innerhalb der dominanten Kultur. Die Sehnsucht vieler essentialistischer Transgender, ihre Körper zu transformieren (und in den meisten Fällen zu transzendieren), erfordert oft ein Höchstmaß an psychologischer Verdrängung bezüglich des eigenen physischen Körpers - diese Verdrängung ist oft sogar kulturell verordnet, da Transsexuelle sich in den meisten Ländern einer klinischen Untersuchung zur Feststellung einer abweichenden Geschlechtsidentität unterziehen müssen, ehe sie eine operative Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen dürfen. Aber ungeachtet der konformistischen Tendenzen und der Konventionalität der Wunschkörper solcher Transgender, darf man nicht vergessen, dass die Prozesse der Körper-Transformation ungeheuer viel Mut erfordern und immer ein großes Fehlschlagsrisiko bergen. Sich vom Hausmann in eine Hausfrau zu verwandeln oder umgekehrt klingt für einige vielleicht nicht sehr feministisch, aber die radikale Abkehr vom "ursprünglichen Geschlecht", die zu einer solchen physischen und sozialen Transformation gehört, ist unzweifelhaft eine extreme Zurückweisung gesellschaftlich festgelegter Geschlechterrollen - selbst wenn das Ergebnis die Flucht in eine zweite gesellschaftlich festgelegte Geschlechterrolle ist. Darin zeigt sich klar eine Gemeinsamkeit mit dem feministischen Kampf um "Wahlfreiheit". Eine andere Parallele zwischen Feminismus und uns Transgendern ist die, dass sowohl Frauen wie Transgender darauf konditioniert sind, extreme Scham über ihre Körper zu empfinden. Ja, für "durchgehende" FzMs und MzFs, die sich zu sehr schämen oder fürchten, um sich ihren Partnern als Transgender zu erkennen zu geben, kann die Geheimhaltung im Genitalbereich sogar eine Frage von Leben und Tod sein, weil sie bei versehentlicher Enttarnung mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen rechnen müssen. Glücklicherweise sehen die meisten Leute nur das, was sie sehen wollen, und in diesem heiklen Kontext kann die Ablenkung durch Glamour - fingerdickes Makeup, aufgetürmtes Haar, Glitzerklamotten und Accessoires - gelegentlich helfen, MzFs zu "normalisieren" und als "richtige Frauen" zu tarnen. In solchen Fällen bietet Glamour eine seltsame Übererfüllung der Gender-Merkmale - ein dünner Schleier von Super-Weiblichkeit, der so verwirrend ist, dass er den Transgender-Körper darunter effektiv verbirgt (solange keine anderen Tunten in den Nähe sind, die den Glamour in einen queeren Kontext setzen). Durch das genauere Herausarbeiten spezifischer gesellschaftlicher Zusammenhänge wie dieser werden der Gender-Diskurs und die Disskussion über die Repräsentation des Körpers möglicherweise das ewige feministische Dilemma überwinden, wie man Menschen begreiflich machen soll, dass Gender-Fragen nicht ausschließlich "Frauen-Fragen" sind, sondern die Gesellschaft insgesamt betreffen. Ein zentrales Problem ist natürlich, dass letztendlich die überwältigende Mehrheit der Frauen ihre "Gender-Fragen" mit denselben essentialistischen Begriffen wie Männer angehen - sie stellen nicht die Idee einer definitiven Weiblich/Männlich-Binarität, die Transgender ausschließt, in Frage, sondern nur die sozialen Kodierungen, die sich aus dieser Binarität in Bezug auf Männer und Frauen ergeben. Transsexuelle, Intersexuelle oder andere Geschlechsidentitäten werden als reine statistische Anomalien betrachtet, deren Seltenheit nur die biologische Normalität bestätigt, sich als Frau oder Mann zu definieren. All das der Tatsache zum Trotz, dass bei Transgendern etliche reale physische Gegebenheiten bestehen, die die Mann/Frau-Binarität einschlägig widerlegen. Ein zweites Problem ist, dass wir Transgender unsere eigenen Essentialismen konstruieren. Glamour selbst wird zu einem beidseitig verwendbaren "Meta-Essentialismus", der dem einen MzF die Assimilation und Akzeptanz als "Show-Queen" bei schwulen Transgendern erleichtert, und gleichzeitig dem anderen MzF seine "Normalisierung" als "heterosexuelle Frau" in einem nicht-schwulen Umfeld. Diese ganzen konkurrierenden Essentialismen erschweren Allianzen über Communitygrenzen hinaus (von Allianzen innerhalb der Communitygrenzen reden wir erst gar nicht). Ein Weg, diese Essentialismen zu dekonstruieren, besteht darin, den Kontexten, die sie mit Energie speisen, den Stecker rauszuziehen, sie mit anderen Kontexten kurzzuschließen und zuzusehen, wie die Leitungen durchbrennen ... nicht um die Sichtweisen der einen oder der anderen Gruppe zu diskreditieren, sondern um die praktischen Grenzen der Techniken von Kommunikation und gegenseitiger Annäherung des kritischen Denkens zu identifizieren. Diese Grenzen zeigen dann vielleicht neue Wege für die Kommunikation der Communities untereinander auf. Man denke an die "Vaginal Iconology"-Bewegung in den 1970ern, in der Künstlerinnen den Versuch unternahmen, die weiblichen Genitalien wieder in die Kunst zurückzuholen. Damit stellten sie nicht nur das Phallozentristische der westlichen Kunst in Frage, sondern lehrten Frauen auch etwas über ihre Körper. In ihrem Vortrag bei der Sexuality Conference der N.O.W. (National Organisation for Women) in New York 1973 schlug die Erotik-Künstlerin Betty Dodson einen zeitgemäßen ästhetischen Rahmen für die weiblichen Genitalien vor. In ihrer Präsentation zeigte sie Dias ihrer eigenen Arbeit, medizinische und anatomische Zeichnungen der weiblichen Genitalien (viele davon inkorrekt) und Fotografien der Genitalien von Frauen, die an ihren Körper-Workshops teilgenommen hatten (etikettiert als "klassisch", "barock" etc.). Wie man hört, gab es am Schluss stehende Ovationen von tausend Frauen, von denen viele noch nie ihre eigene Vagina gesehen hatten, erst recht nicht die einer anderen. Indem sie die Verschiedenartigkeit der weiblichen Genitalien sichtbar machte, zerstörte Dodson die Mythen von der Homogenität des weiblichen Körpers und stellte damit auch die Homogenität der Konstruktion weiblicher Geschlechtsidentität an sich in Frage. Das gelang ihr, indem sie zunächst von ihrem eigenen Selbstbild (ihrer Kunst) aus zu den Erwartungen an weibliche Körper (klinische Bildersprache) und dann zu den Bildern unterschiedlicher Frauenkörper selbst (ungeschönte, ungestellte Fotos) zurückging. Ich persönlich finde diese Bewegung außerordentlich wirkungsvoll und inspirierend (wenn auch gelegentlich etwas überkandidelt und allzu beschäftigt mit "Mütterangelegenheiten" - hmmm... dasselbe könnte man auch über Drag Queens sagen ...). Aber was, wenn wir versuchten, die "Vaginal Iconology"- Methode, Darstellungen von Frauenkörpern zu dekonstruieren und für eine auf Transgender-Körper anwendbare "Ikonologie von Transgender-Genitalien" zu übernehmen? Kann man den Weg zurückverfolgen von den Erwartungen an männliche und weibliche Körper zu den diversen Transgender-Körpern und das anscheinend unheilbar Unsichtbare sichtbar machen? Oder würden wir feststellen, dass die Transgender-Körper selbst uns nur wieder an Idealbilder von Männern und Frauen zurückverweisen, wie in den Selbstporträts des extrem "passablen" FzM-Bodybuilders und Fotografen Loren Cameron? Welche Unterschieden in der Rezeption können wir angesichts der komplexen Beziehung von Transgendern und Medizin erwarten, wenn wir neben die von Dodson verwendeten graphischen Darstellungen der Vagina grafische Darstellungen und Fotografien von operativ veränderten Transgender-Genitalien stellen (bei denen ein höherer Grad an medizinischer Verstümmelung und traumatischer Folgen für den Patienten gegeben ist)? Wie würden solche Bilder innerhalb der Transgender-Community selbst gesehen werden, zu der nicht-operierte Drag Queens und Drag Kings, die nicht die Absicht haben, ihre Genitalien chirurgisch verändern zu lassen, ebenso gehören wie Transsexuelle, die sich auf eigenen Wunsch einer hormonellen und operativen Geschlechtsumwamdlung unterziehen, sowie Intersexuelle, die mit multiplen oder nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden und ohne ihre Zustimmung unters Messer kamen? Schon die Tatsache, dass innerhalb der Transgender-Community eine operative Geschlechtsumwandlung im typischen Fall der Lebenstraum für Transsexuelle und der Alptraum für Intersexuelle ist, führt uns zu einer Auffassung vom "Körper", die zu verworren ist, um sie so einfach zu einem gemeinsamen Ursprung zurückverfolgen zu können. Was ist ein "natürliches" Transgender-Genital? Das vor der Operation? In was würde es sich dann bei Nicht-Intersexuellen vom männlichen oder weiblichen Genital unterscheiden? Anders als die "Vaginale Ikonologie", die von der naturalistischen Vorgabe ausgeht, dass es einen "Frauenkörper" gibt, den man in aller Verschiedenheit abbilden und feiern kann, und zwar so, dass es alle Schwestern eint, scheint eine "Ikonologie der Transgender-Genitalien" uns eher vom Naturalismus, von schwesterlicher Gemeinsamkeit wegzuführen und hin zu Verschiedenheiten, die uns kulturell entzweien. Für mich selbst liegt die Kraft des Transgendertums - wenn es überhaupt eine gibt - in dieser Ambivalenz und Gespaltenheit. Es ist nicht die Kraft der Abgrenzung oder Unterscheidung von anderen Gendern, sondern eher die Kraft, die man daraus zieht, Repräsentationssysteme der Abgrenzung und Unterscheidung der Gender zusammenbrechen zu sehen. Es ist nicht die Kraft der Umwandlung, sondern die Kraft des fließenden Übergangs. Es ist weder ein "drittes Geschlecht", das Einigkeit verspricht, noch ein Zwischending aus allen Geschlechtern. Es ist definitiv ein Anschlag auf den Mythos der sozialen Einheit. Für die Transgender-Community ist es die Möglichkeit, solche Akte des Übergangs als soziale Prozesse zu de-essentialisieren. Das ist so harte Realität wie ein Faustschlag ins Gesicht (wie viele von uns leider aus Erfahrung wissen). Je mehr man sie zu definieren versucht, desto flüchtiger und trügerischer wird sie. Natürlich gehören zu Glamour Illusion (oder Ausflucht) und Betrug, aber in ganz anderer Absicht. Mit Glamour bedient man sich der Illusion, um bestehende Vorstellungen zu zementieren. Glamour nährt sich von vorhandenen Sehnsüchten und sichert den unerträglichen Status Quo. Transgender-Glamour scheint mir die größtmögliche Verinnerlichung solcher Systeme seitens einer unterdrückten Klasse darzustellen. In MzF-Communitys wird Glamour gedankenlos vergöttert, konsumiert und verdaut. McGlam - diese homogenisierte Drive-In-Drag-Kultur, die man in jeder Stadt der westlichen Welt findet (und mittlerweile auch in vielen der östlichen Welt). Wie Fast Food ist sie überall zu haben, in Maßen genossen sogar ganz nett, aber definitiv nicht zum täglichen Konsum vorgesehen. Die Schwestern kriegen den Fettrappel von dem ganzen Glamour-Dreck, mit dem man sie vollstopft ... können wir in unseren Küchen nichts besseres zusammenrühren? Möchte jemand Rezepte tauschen? |