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Terre Thaemlitz: Soulnessless
Comatonse Recordings, C.020
 
- Finn Johannsen


In Spex (DE), 07/08 2012.

 

 

Es muss Terre Thaemlitz schon sehr irritiert haben, welche übergreifende Zustimmung vor drei Jahren dem als DJ Sprinkles veröffentlichten Album "Midtown 120 Blues" entgegenschlug. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass in seinem/ihrem Schaffen beeindruckende House-Tracks erschienen, die durch und durch mit Subtexten aus dem von ihr/ihm seit den frühen 90er Jahren entschlossen verfolgten Themenspektrum versetzt waren. In der Wahrnehmung seiner/ihrer Arbeit war es inhaltlich ein weiterer Aspekt, musikalisch eine weitere Bestätigung. Aber House hatte zu dieser Zeit vielleicht noch weniger über den Tanzflächenrand hinweg zu sagen als zuvor, und klang auch über weite Strecken ziemlich ausgelaugt, sodass hier für viele plötzlich auf mehreren Ebenen die Ausnahme erschien, die die Regeln in Frage stellt. Nur haben sich die Regeln durch diese Episode keineswegs geändert, und Thaemlitz lag wohl nichts ferner, als sich als der ulkige Querulant mit den feinen Tunes mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Ganz im Gegenteil, als sich die Aufmerksamkeit auf ihre/seine Clubkultur-Interessen richtete, sowieso nur ein Ausschnitt ihrer/seiner Musik, war "Soulnessless" schon längst in Arbeit. Und dieses nun endlich fertiggestellte Unterfangen geht weit über die Mühen hinaus, die er/sie sich ohnehin schon seit Jahren macht. Schon das "Dead Stock Archive" von 2009, eine im Eigenvertrieb erhältliche Compilation sämtlicher ihrer/seiner musikalischen Aktivitäten auf 2 DVDs, war eine deutliche Absage an die digitalen Musikplattformen, mit deren Gesetzmäßigkeiten und Rechtsverletzungen sich Thaemlitz seit einiger Zeit herumplagen musste. "Soulnessless" bündelt nun diese Kritik in einem gewaltigen künstlerischen Komplex. Das Album erscheint in Form einer MicroSD-Karte samt kleinem Booklet. Auf der musikalischen Ebene gibt es fünf elektroakustische, mit unzähligen Tondokumenten verwobene Cantos plus Bonusmaterial, in deren Zentrum ein knapp über dreißigstündiges Pianosolo steht. Ergänzend dazu aufwendig gestaltete Videoclips und Texte in 10 Sprachen. Die inhaltliche Ebene fasst Thaemlitz auf seiner/ihrer Webseite aufs Kürzeste als den Versuch einer Dekonstruktion von "Soul Music" aus einer non-spirituellen und anti-religiösen Perspektive zusammen, der er sich über die prekären Zusammenstöße von "gender, electronic audio production and spirituality" annähert. Und beide Ebenen greifen beim Hören, Lesen und Sehen derart intensiv ineinander, dass man angesichts dieser immensen Fülle von Eindrücken fast kapitulieren muss, aber nie will. Konzeptuelle Arbeiten anderer Künstler erscheinen im Vergleich unweigerlich fast lächerlich, was weniger mit der Superlativ-Quantität dieses Materials zu tun hat, sondern mit der Akribie und Konsequenz, mit der ein Superlativ-Erlebnis erreicht wird. Und der Dancefloor? Dem wird das Ungetüm in zwei begleitenden Vinyl-EPs samt House-Remixes untergejubelt. Und wie macht man nach so etwas weiter? Ich mache mir nicht die geringsten Sorgen.