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Terre Thaemlitz
Elektroakustische Gesellschaftskritik
 
- Diedrich Diederichsen, Fotos: Bart Nagel


In Spex (Germany), June 1999, No. 6.

 
Würde man ihn als "Konzept-DJ, Konzept-Musiker, Konzept-Aktivisten und (stöhn!) Konzept-Konzeptualisten" vorsellen, käme man TERRE THAEMLITZ nicht halb so nahe wie dieser sich selbst, wenn er erläuternde Zeichen setzt. Es givt also doch noch komplexere Sprechpositionen als die saubere Kritik AN und das ozeanische Eintauchen IN Musik. DIEDRICH DIEDERICHSEN über eine besonders reiche. Fotos: BART NAGEL.

"Trans-"fixed

Terre Thaemlitz ist einer der verbleibenden Zeitgenossen, der Fragen nach dem Zusammenhang von Kunst und Politik stellt, ohne sich der üblichen schlechten Alternative aus Ästhetizismus und Inhaltlichkeit zu unterwerfen. Er beschränkt sich dabei weder auf die Theorie dieses Zusammenhangs, noch auf die reine Ideologiekritik vorhandener Modelle - obwohl er beides auch tut. Sein Selbstverständnis umfasst seine Produktion als elektronischer Musiker, elektroakustischer Komponist, DJ ebenso wie seinen vielschichtigen Aktivismus in einer Weise wie man das zuletzt von Bildenden Künstlern um die letzte Jahrzehntwende in dieser Deutlichkeit und mit dieser Spannweite gehört hat. Seine Ausgangspunkte sind weder "Aufklärung" noch "Agitation", will er benachbarte Konzepte negativ kennzeichnen, wirft er ihnen meistens "Humanismus" und "Essentialismus" vor. Humanismus steht in seiner Rede für Weltanschauungen, die ein festes und auch normatives, daher einschränkendes Menschenbild haben - das scheidet, insbesondere natürlich für einen Aktivisten der Gay Politics, aus. Essentialismus steht umgekehrt für all die Ansätze, die aus den, durch die Unmöglichkeit und Begrenztheit des Humanismus notwendig gewordenen identitätspolitischen und minderheitenpolitischen Ansätzen fixierte, unveränderliche Essenzen ableiten und für sich gewonnen haben wollen, auf die sie sich nun berufen: wie einen schwarzen, schwulen, albanischen, serbischen oder weiblichen Charakter. Die Unmöglichkeit dieser beiden Ansätze und damit sowohl traditioneller linker Politik wie der meistens an ihre Stelle getretenen regionalen und identitären Ansätze ist sein Minimum.

Auf seiner ersten Langsspiel-CD, "Couture Cosmetique", findet man den programmatischen Untertitel "Transgendered electroacoustique symptomatic for the need of a cultural makeover". Dazu erklärt er, es gehe ihm beim Begriff des "Transgender" "nicht um Verwandlungen im essentialistischen Sinne, von Mann in einem fixen Sinne zu einer Frau z.B., sondern um das Mischen kultureller Zeichen von Geschlechteridentität, einem freien Mischmasch aus Bezügen. Und das ist gar nicht so unähnlich zu meiner Vorgehensweise in meiner Arbeit mit elektronischer Musik: auch da stelle ich Samples mit ganz verschiedenen Status zusammen, setze sie der digitalen Synthesis aus und konfrontiere sie miteinander. Aber es gibt wenige Orte, wo sich diese beiden Interessen von mir begegnen. Die Transgender-Community ist meistens doch ziemlich essentialistisch. (...) Und die elektronische Musik wird von heterosexuellen Jungs beherrscht. Ich glaube allerdings nun auch nicht, dass in der Kombination meiner beiden Interessen eine Utopie schlummert, ich träume jetzt nicht von einer Welt, in der Transsexuelle zu elektroakustischer Musik tanzen. Ich weiss gar nicht, ob mir das gefallen würde."

Am besten kann man Terre vielleicht verstehen, wenn man einerseits von seinem Leben und andererseits seiner Arbeit parallel berichtet. Wie in jeder guten Künstlerbiographie. Obwohl gerade Ansätze wie seiner, diesen Begriff vom Künstler kritisieren, tut er etwas einerseits so Naheliegendes und Anstehendes und andererseits so Seltenes und Ungewöhnliches, dass man nicht umhin kommt, seine Person in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen: er politisiert elektronische Musik, insbesondere stellt er die Frage nach der Ideologie von Ambient. Und während er das tut, versucht er auch immer wieder Musik zu machen, die gegen alle Schwierigkeiten, versucht zu beherzigen, was er ihr als Kritiker vorzuwerfen hätte.

US-Rockterror, Euro-Electronic-Pop-Verheissung

Thaemlitz kommt aus einer Kleinstadt im Staate Missouri. Der Held seiner Jugend ist Gary Numan. Er hört gerne Kraftwerk und beschreibt sein Frisur als einen "A Flock of Seagulls-haircut". Rock ist die Musik der Normalität und der Sound, zu dem man zusammengeschlagen wird. Elektronische Pop-Musik gilt gerade diesen Schlägern als weibisch und ausländisch und ist schon allein deswegen ein guter Bezugspunkt. "Elektro-Pop war die Musik, die die Rock-Fans hassten, schon allein deswegen war sie gut." Einer seiner wichtigsten Bezugspunkte wird das Yellow Magic Orchestra und vor allem - bis heute - dessen Mitglied Haruomi Hosono: "Ich habe enorm viel auf diese Platten projiziert. Das ist auch ein Grund, warum ich heute immer so extensive Booklets mit erklärenden Texten beilege. Ich will den Leuten gleich sagen, worum es mir geht." Als 1997 "Couture Cosmetique" erscheint, gibt es bereits ein brillant gestaltetes Booklet, das graphisch wie inhaltlich zur Musik auf der wunderbar hellgelb- lachsfarbenen CD passt. Nach einem Satz aus Jacques Attalis "Noise" kommt im zweiten Motto Terres Freund und Ultra-Red-Macher Dont Rhine zu Wort: "Obwohl es eine explosive Entwicklung queer-freundlicher Bilder und Graphiken durch den AIDS-Aktivismus der 80er gegeben hat, haben wir auf der klanglichen Ebene nichts anderes zu bieten als den Slogan 'Hey-hey, ho-ho, Homophobia's got to go!'"

Es bleibt eine von Terres Fragen inwieweit heutige elektronische Musik, von Ambient bis Minimal Techno, von abstrakten Drum & Bass bis zu Mainstream-Techno - um nur ein paar der Genres zu nennen, die er auf seiner ebenfalls 97 erschienenen "G.R.R.L."-CD explizit untersucht - inwieweit diese Musik, die ja als post- oder anti-macho angetreten ist, als anti-Autor und anti-Sinn und -Ideologie, die auf elektronischen und nicht auf körperessentialistischen Voraussetzungen beruht, inwieweit diese Musik und die sie umgebenden Kultur nun sonically tatsächlich mehr zu bieten habe und wie das mit den Interessen der Muskindustrie im Speziellen, grösserer kulturindustrieller Trends im Generellen zusammengeht.

Der Swimming Pool, an dem Terre und ich uns jetzt gegenübersitzen, gehört zu einem Hotel-Motel-Komplex, in dem berühmterweise Janis Joplin gestorben ist. Ein klassisches Opfer der Verhältnisse, über die wir reden. Sie starb an einer, wie Terre sagen würde, Musikindustrie-typischen Kommodifizierung einer essentialistischen Gender-Konstruktion. "Ich wunder mich immer, wenn ich mit europäischen Freunden aus der Welt der elektronischen Musik rede, wie sehr die schon glauben, sie hätte schon gewonnen, sie hätten sich bereits durchgesetzt.(...) In den USA ist man gegen solcher idealistischen Verkennungen der Lage gefeit: hier regiert das Rock-Paradigma."

Art, Activism, Ambient

Terre studiert in New York an der Cooper-Union-Schule Kunst. Zu seinen Arbeiten gehört eine massiv institutionskritische "Unauthorized Installation of Beeping Devices at the Museum of Modern Art, New York City", die er gemeinsam mit John Consigli realisiert, zu sehen auf dem Cover seiner mit der Komponistin Jane Dowe gemeinsam aufgenommenen CD "Institutional Collaborative" aus dem Jahr 1998. Er gerät in den späten 80ern, frühen 90er an aktivistische Kreise und operiert in dem Kontinuum aus Kunstszene und AIDS-Aktivismus, das es eine Weile gab und verliert, wie viele AktivistInnen jener Epoche, nach einer Weile das Interesse an Kunst. Sein Vokabular, seine Art, kulturelle Prozesse zu analysieren, ist jedoch für Aussenstehende noch erkennbar geprägt von dem Crossover ideologiekritischer und Cult-Stud-Diskurse wie sie für die kritische Kunstszene jener Zeit typisch waren. Zu seinen Lehrern gehörten der AIDS/Kunst/Aktivismus-Theoretiker Douglas Crimp und der politische deutsche Konzeptkünstler Hans Haacke."Ich kann mit Stolz davon berichten, dass ich mich zu den Menschen zählen kann, die von Hans Haacke Nazi genannt worden sind." Wie kam es dazu? "Es gab damals auf dem Schulgelände eine Präsentation von sogenannten Pro-Lifers, also militanten Gegnern des Abtreibungsrecht. Ich habe mit FreundInnen etwas dagegen machen wollen und Haacke hat das Recht der freien Meinungsäusserung auch für solche Leute verteidigt. Da gingen unsere Auffassungen dann weit auseinander."

Mit "Couture Cosmetique" beginnt die Reihe von Terres theoretisch-experimentellen CDs. Hier formuliert er den Grund, warum Ambient zunächst zu seinem bevorzugten Untersuchungsgegenstand wird. "Einige Subgenres dessen, was man zeitgenössische Ambient Musik nennt, schlagen eine Komplizierung kultureller Prozesse vor, indem diese das Spektakel der Melodie unterwandern und die soziale Bedeutung aktiver und passiver Hörtechniken infrage stellen. In ähnlicher Weise kann man dort Diskurse vorfinden, die mit der aktiven Offenlegung, Umkehrung und Verwicklung mit klanglichen Erfahrungen und Beziehungen zu tun haben, obwohl natürlich die Mehrzahl der Produktionen von Männer kommen und weder beanspruchen können den konventionellen Heterosexismus zu überwinden, noch die Gender-Stereotypen, mit denen die Musikindustrie arbeitet."

Zwar bändigt er seinen so beschriebenen Optimismus in Verlaufe des begleitenden Essays, nennt aber die Arbeit von Walter/Wendy Carlos, Scanner, Laurie Anderson, Oval und Insook Choi als zwar problematische und nie befriedigende, volle, aber doch brisante Beispiele. Man könne zwar nicht erwarten, dass die Fähigkeit zeitgenössischer elektronischer Musik, "sich von maskulinen und patriarachalen Signifikanten zu trennen, zu disassoziieren" weit genug reiche, um eine "überzeugende Fiktion des Femininen oder Androgynen" zu entwickeln, dass aber die Möglichkeiten Gleichzeitigkeiten und Widersprüchlichkeiten von Wünschen und Bedürfnissen zu verkörpern, eine wichtige Kraft sei. Dabei seien Arbeiten, die die Operationen, mit denen massenproduzierte Produkte ihre Autorschaft verlören, sie als idolisierten Stars zugeordnete Objekte wiedergewinnen und schliesslich diejenigen Operationen, mit denen wir selbst zu den Autoren der Musik werden, die wir lieben, nicht nur anerkennen und die eigenen Möglichkeiten diese zu adressieren als begrenzt beschreiben, sondern vor allem solche Arbeiten, die diese Operationen selber aktiv herausstellen, zeigen und veröffentlichen diejenigen, die er wegweisend findet. So weit ein kleiner Ausschnit aus seiner Argumentation von "Couture Cosmetique".

Markt, Genres, das Jenseits von Parodie und Ironie

Er arbeitet in dieser Zeit mit verschiedenen Labels, darunter Instinct und dann mit den selbstgegründeten Organisationen Caiprinha und schliesslich heute Comatonse zusammen. Er versucht Vertriebe zu finden, aber da das einzige mögliche Etikett für seine Musik, das Vertriebe akzeptieren "Ambient" heisst, Ambient aber entweder tot sei oder nur als New-Age-Musik überleben könne, findet er keinen Vertrieb. Später am Tage werde ich Zeuge, wie er seine Platten den verschiedensten Shops in LA anbietet. Im House/Techno-Spezialgeschäft ist man eher reserviert, bei "Amok", dem auf Drastik jeder Art, von linksradikal bis rechtsradikal, von Black Panther bis Milizen-Kultur, von Warhol-Filmen und Klassikern der Gay Politics bis zu Ku-Klux-Klan-Traktaten spezialisierten Shop, findet er einen alten Biker-Typ, der seine Sachen kennt und liebt: "Ich stehe auf die Extreme", grunzt er. So finden Produkte ihr Publikum.

Die Segmentierung des elektronische-Musik-Marktes wird zum Thema der zweiten 97er CD "G.R.R.L.", bei der jeder Track ein oder mehrere Genres repräsentiert - "Mainstream-Techno, Improvisational Lounge, Abstract Drum & Bass, Minimal Techno, Deep House" etc. "Es ging mir darum, wie einem Genre-Ideal genügen zu wollen, eine oft unbewusste Antwort auf Marktgesetze darstellt." Doch wäre das alleine zu wenig. Die Platte durchzieht ein zweites Thema. Exotismus und Orientalismus in der Rock- und Pop-Kultur. Mit Chiu-Fen Chen schreibt er den Track "China Doll (Kill All Who Call Me)", zu dessen Text die Regieanweisung "Kichere psychotisch mit feurigen Augen!" gehört. Interessanterweise sind die Tracks weder Parodien oder ironische Listen von Erkennungszeichen, sondern je nach Genre unterschiedlich gelungene, ernsthafte Annäherungen.

In den frühen 90ern ist Terre Deep-House-Fan. "Neben 80er-Elektro-Pop war jazzige House-Musik mein wichtigster Einfluss." 91 wird er DJ Sprinkles. Unter diesem Namen legt er für die nächsten Jahre in einem hauptsächlich von Latino-Transsexuellen besuchten Club in New Yorks mittlerweile "gesäuberten" 42sten Strasse auf. Er übernimmt von einem "homphoben, heterosexuellen Freestyle-DJ, der es nicht mehr aushielt". Er arbeitet u.a. bei den Auftritten von Dorian Corey, inzwischen verstorbener Star des vieldiskutierten (Judith Butler!) Vogueing-Dokumentarklassiker "Paris Is Burning", wird von dem Publikum zum besten DJ gewählt und muss sich immer wieder gegen den Geschmack der reichen straighten, weissen Freier und den gelegentlich nachdrücklichen Wunsch nach Gloria Estefan durchsetzen. Mit dem Besitzer kommt es immer häufiger zu Meinungsverschiedenheiten, weil Terre sich weigert Major-Label-Tracks zu spielen. Schliesslich fliegt er raus und beschliesst selber Tracks zu machen, statt sie nur zu spielen. Es werden dann keine Deep-House-Tracks, aber er erinnert auf seiner neuen CD "Love For Sale" und auf der älteren 12" "Sloppy 42nds" an diese Zeit.

Der Club, in dem er arbeitete "Sally's II" schliesst 97, nachdem Disney einige Filetstücke der 42ten Strasse gekauft und saniert hatte und dafür von der Stadt die Garantie bekam, dass moralisch zweifelhafte Etablissements in der Umgebung schliessen müssten.

Die Differenz von Zeichen und Nichtzeichen ergibt wieder: Zeichen

'97 erscheint dann auch seine dritte und erste Mille-Plateaux-CD "DieRoboterRubato". Hier spielt er Kraftwerk-Stücke auf dem Flügel im Rubato-Stil nach - also mit viel Pedal und ohne festenBezug zu Takt und Metrum. Natürlich geht es bei dieser konzeptuell vielschichtigen Arbeit auch um das Geschlecht der Roboter und um die Konstruktion von Geschlechter-Identitäten in bezug auf industrielle Produktion, die in Kraftwerks Selbststilisierung thematisiert werden. Es geht auch um Kraftwerks Anspielen des Themas der Autorlosigkeit, der Warhol'schen Reproduzierbarkeit des Produzenten usw. Es geht um die Ideologie von Ambient und Minimalismus, die, obwohl doch so gut geeignet für "in vielfältiger Weise politisierte Produktionsweisen" immer noch so oft in der Begrifflichkeit des Universellen, des Nichtsprachlichen und der metaphysischen Rolle der Musik diskutiert werden. Doch vor allem geht es eben gerade darum, wie viel Musik - schon auf der Ebene der Produktion - also vor der Projektion und vor der Interpretation bedeutet. "Ich bin immer wieder genervt, wenn Leute sich weigern zu sagen, was sie alles mit ihrer Musik verbinden, welche Absichten und Ziele sie verfolgen. Es heisst dann immer, man wolle nicht gelabelt werden, zu viele Auskünfte würden die Musik beengen. Aber das Gegenteil ist wahr: wenn du selbst deine Arbeit nicht kommentierst, dann wird sie eben durch Interpretationen des Wenigen, das du doch sagst festgelegt, und das entzieht sich viel eher deiner Kontrolle. Oder das besorgen die üblichen Kategorien des Marktes und das hast du erst recht nicht unter Kontrolle."

Mir fällt in diesem Zusammenhang natürlich die Diskussion um Mike Ink und die Bedeutung seiner Wald- und Wagner-Bezüge ein. Wenn Ink/Voigt und sein Interpret Tobias Thomas, wie in dieser Zeitschrift geäussert, tatsächlich glauben, dass Zeichen heutzutage keine Zeichen mehr seien, dann müssten die Platten ja nicht "Gas" oder "Zauberberg" heissen, dann bräuchte man ja eben gerade keine Cover und PR-Strategien. Der Irrtum besteht glaube ich darin, Ambivalenz und Offenheit mit Reinheit und Referenzlosigkeit zu verwechseln. Offenheit und Ambivalenz entsteht nicht durch entleerte Zeichen, "vom politischen Ballast befreit", sondern im Gegenteil durch das Aufeinandertreffen von möglichst viel bedeutenden Material und ebenso viel Material, das sich unter klare Bedeutungen nicht zwängen lässt, also durch den Gegensatz von Zeichen und - meinetwegen - Nichtzeichen, nicht durch die Abschaffung oder kontrafaktische Leugnung von Zeichen.

Thaemlitz kennt und schätzt die Arbeit von Ink und anderen Auteurs der Kölner aber auch der Berliner und Wiener Schulen. "Gerade in Deutschland und Österreich gibt es eine enorme Entwicklung. Aber dadurch dass die ProduzentInnen nicht darüber reden wollen, kommt es zu immer neuen Missverständnissen, die dann auch nicht mal mehr Missverständnisse sind - weil gar nichts gesagt wurde, was man missverstehen kann." In seiner abstraktesten - und von anderen Anliegen und Themen relativ freien - CD "Means From An End" widmet sich Thaemlitz diesem Problem auf einer grundsätzlichen und analytischen Ebene. Wie können Zeichen als solche durch digitale Beeinflussungen und Manipulationen hindurch persistent bleiben? Was bedeutet die Einführung von "Inhalt" in etwas scheinbar Inhaltloses (Nebengeräusche, technische Geräusche z.B.) für dessen Umgebung? Wie wirken Ideologien des Musikalischen - Musik als universelle Sprache, als metaphysisches Medium, als Kompensation für gesellschaftliche Defizite, als Medium reiner und unverdorbener Körperlichkeit - auf solche "Inhaltslosigkeit"? Und auf dieser Platte geschieht auch in einer noch viel weiterreichenden Weise das, was er schon bei "Couture Cosmetique" konzedieren musste: man kann auch als Anti-Essentialist nicht umhin, von essentialistischen Positionen fasziniert zu sein, von Ganzheiten und Ungebrochenheiten. Statt sie zu vermeiden kommt es wohl eher darauf an, solche Wünsche und Begehren in den richtigen Kontext zu stellen. So verfehlt es auch Thaemlitz in einer produktiven Weise, sich ganz von solchen Ideologien des Musikalischen frei zu machen. Jedem Begehren nach Klarheit und Klartext steht eines nach Eleganz oder Effizienz der Verführung gegenüber - dieses produktive Durchkreuzen seines Ziels (end) und seiner Absicht die Mittel (means) dafür offenzulegen, ermöglicht es erst die Fülle der interpretierenden, assoziierenden Tätigkeiten von HörerInnen offenzulegen, die ein Vorhaben wie seines zu welchen Abstraktionen auch immer zusammengefasst, in welche Massnahmen auch immer umgesetzt, einrechnen muss.

Und das wieder überaus elegant gestaltete Booklet verfremdet eine Maxell-Cassette zu einer Marx-Cassette mit Hegel-Scan, stellt Wimperntusche, Augenbrauenstift, Perücke und andere Transgender-Werkzeuge aus und erklärt in aller Ausführlichkeit das Vorgehen bei dieser Recherche nach Anfang und Ende musikalischer Bedeutung. Oft sind es offensichtliche, grosse Zeichen, die in Thaemlitz' Konstellationen eingebaut werden: Blue Notes als Klänge und Jazz-Piano als Sound stehen für ihn für linke und aufklärerische Projekte, bzw. deren spezifisches Publikum. Doch auf ihrem Wege in seine "Inelegant Implementations" bleiben sie nicht in der plumpen Plakativität collagenhaft eingesetzter Samples stecken. Sie werden mit unabhängig entwickelten Kompositionstechniken konfrontiert und mit Sätzen aus Konversationen von "Politisierten" und durchlaufen alle Arten digital-technisch bestimmter und von bestimmten musikalischen Regeln festgelegter Veränderungen.

Musique Abstracte

Die Bereitschaft, etwas schön zu finden und das "Vordergrund-Hintergrund-Paradigma der melodischen Musik" aufzulösen, sei, so Thaemlitz, bei einem elektronischen und Ambient-Publikum durchaus gegeben, nicht so, sich über die eigenen inneren Vorgänger der Bedeutungskonstruktion in konventionell als nicht bedeutend geltenden Umgebungen Aufschluss zu geben. Die Abstraktheit seiner Versuchsanordnungen, die das musikalische Material wesentlich distanzierter behandelt als es avantgardistisches Klangstürmertum in seiner expressiven Aggressivität oder E-Musik-Tüftelei in ihrer Immanenz und ihrem Autonomie-Anspruch normalerweise tun können, erinnert mich an die Vorgehensweisen konzeptualistischer Bildender Kunst. Warum hat er, der davon so offensichtlich geprägt ist, eigentlich die Bildende Kunst ganz aufgegen? "Du kannst den White Cube kritisieren so viel du willst, es ändert sich einfach nichts an seiner Bedeutung. Ich habe mich in meinem Studium dann nur noch mit Cultural-Studies-Themen beschäftigt und allenfalls mal ein Poster für aktivistische Anlässe entworfen, aber mein Denkstil ist noch von dieser Zeit ein bisschen geprägt."

Es fällt auf, dass Leute, die sehr bewusst und kritisch die Bildender Kunst zugrunde liegenden impliziten Konzepte untersuchen, auch sehr genau wissen, dass für sie nur eine bestimmte Musik infrage kommt, nur bestimmte Klänge und bestimmte Clubs. Dass sie das Wissen, das über ihre musikalischen und musikkulturellen Präferenzen entscheidet im Gegensatz zu dem Kunst-bezogenen aber unbedingt implizit halten wollen. "Ja, die Audio-Community glaubt, ihr gehe durch Explizierungen etwas verloren. Es scheint fast so zu sein, dass vielfach beschworene wichtige Musik ihre Wichtigkeit verliert, wenn man diese begründen soll. Dieser Drang etwas Wichtiges, Bedeutendes durch Musik, durch die Wahl von Musik sagen zu wollen, hat auch sehr viel damit zu tun, dass man dann nichts Bedeutendes sagen kann. Ich halte meine Arbeit nicht für besonders wichtig, aber ich will und kann darüber reden. Das Schweigen der Musiker hat aber auch was zu tun mit der aktivistischen Gleichung Silence Equals Death."

Wir hatten vorher, anlässlich von Terres neusten Platte davon gesporchen.

Weder nur Kritiker noch nur Komplize

Auf "Love For Sale" geht es um die Kommerzialisierung der Schwulenkultur. "Aber nicht nur aus der Perspektive des kritischen Intellektuellen, der auf diese Phänomen schaut und sie distanziert bedauert. Es ist ja gerade auch dieser kritische Diskurs, dem ich meine Einsichten verdanke, der dort mit eingebaut ist." Das aktivistische Dreieck "Silence Equals Death", unter dessen Motto einst Act Up und andere Bewegungen gegen die AIDS-Krise angetreten sind, bekommt bei Terre eine Wendung auch in bezug auf musikalische Ideologie: die Bedeutung allerdings, dass all der Lärm, den er eingangs zu einer Collage zusammenschneidet sozusagen nur die falsche Umkehrung dieses Slogans illustriere, in dem Sinne dass Lärm Leben bedeute, ist auch zu eng. Wo Musik ist, da lässt sich auch AIDS-Awareness nieder: das wäre fast schon klassische Idelogie des Musikalischen; Musik als ewige Kompensation gesellschaftlicher Defizite.


Doch nur diese Schwäche oder Verwundbarkeit des Slogans aufzudecken, wäre zu billig, formal und unvollständig. Eher geht es um eine Fortsetzung des Anspruchs von "Couture Cosmetique", diesmal als eine "elektroakustische Kritik an der Queer Nation". Die Platte beginnt mit eindrucksvollen TV-Samples von der Gay-Pride-Paraden-Berichterstattung. Die Sponsoren Pepsi Cola und Hard Rock Cafe zelebrieren ihre Jingles und die Kommentatoren fragen ständig, was welches Kostüm und welches Auto wohl gekostet hat und wer es bezahlt hat. Doch direkt nach dieser klassisch-kritischen Anprangerung folgt in stiller Grösse eine Fassung ziemlich minimale Fassung von "Sloppy 42nds", der Hommage an die Bars der 42ten. Denn Terre Thaemlitz verbarrikadiert sich eben nicht im sicheren Ausguck von Kritik und Ironie. Er gestattet sich deren perspektive nur begrenzt und umgeben von völlig anderen und unterschiedlichen Ausdrucksmodi, wozu auch eine sentimentale Hommage gehören kann, die freilich durch den einen oder anderen - technischen wie kulturellen - Filter läuft. Daraus aber, dass er sich nicht auf einen Modus von Bedeutung oder Nichtbedeutung festlegen lässt, kann er zurecht die Kritik an denjenigen ableiten, die glauben ein Jenseits von Bedeutung erreicht zu haben oder es wünschenswert finden, dieses zu erreichen. Und auch noch elektronische Lebensaspekten lokalisieren, wo doch nur ganz altes, unelektronisches Kunstwollen waltet.

Terre arbeitet z.Z. an einer Show über sein Jugendidol Gary Numan. Mit Glück wird er diese im Herbst in Europa, unter anderem in Graz beim Steirischen Herbst aufführen. An seinen letzten Europa-Auftritt als DJ beim Kölner Battery Park Festival erinnert sich mit gemischten Gefühlen: er spielte fast die ganze Nacht vor einer teilweise fast leeren Hallen eine raumgreifende Palette von Musik, die von Kool & The Gang bis zu House in allen möglichen Facetten reichte. "Ich war überrascht, dass an den anderen Orten überall so extrem standardisierte Musik lief. Nach allem, was ich von Köln gehört hatte, hatte ich damit nicht gerechnet. Ich wollte dem etwas entgegensetzen, auch wenn ich normalerweise ganz andere Sets spiele." Z.Z. arbeitet er viel mit Dont Rhine von Ultra-Red zusammen, einem anderen Aktivisten und Intellektuellen der elektroakustischen Gesellschaftskritik. Ob er seine Position und seine Probleme in einer Reihe mit den anderen einsamen Intellektuellen der Pop-Geschichte sehe, wie Green Garthside, Mayo Thompson oder Andy Gill. "Nein, ich glaube nicht. Ich sehe mich eher verbunden mit so problematischen und teilweise kaum zu rechtfertigenden Projekten wie Laibach oder Test Department, wenn ich überhaupt an so etwas wie Genossen im Kampf denke."