Terre Thaemlitz ist ohne Frage die schwierigste und schillerndste Erscheinungen, die im Grenzbereich von Techno rezipiert wird. Neben einer vordergründig wenig unterhaltenden Musik kommt der theoretische Background hinzu, der sich in extensiven Booklets, wie in akustischen Zitaten äussert. Die omnipräsente Fragestellung nach dem Zusammenhang von Kunst und Politik hebt ihn von der Mehrheit seiner Dekonstruktionskollegen ab, weil hier seit der ersten Veräffentlichung "Couture Cosmetique" die so dringende Politisierung der im reinen ästhetizismus siechenden Laptop-Ethics stattfindet. So bezeichnet das aktivistische Dreick der "Act Up" Gruppe von 1987, das auf "Love For Sale" (Mille Plateaux CD 58) abgebildet ist nicht nur die nach wie vor gegebene Problematik des Schweigens über AIDS, sondern kritisiert gleichzeitig auch das Schweigen der Produzenten. Thaemlitz will mehr als ein Spiel mit referenzlosen Zeichensystemen oder Dekonstruktion der Inhalte auf ausschliesslich ästhetischer Ebene. Neben der Thematisierung der Möglichkeit des Mischens kultureller Zeichen von Geschlechteridentität und der Komplizierung kultureller Prozesse geht es nach wie vor auch hier um die Unterwanderung des Spektakels der Melodie und des Beat-Diktates. Interstices befasst sich auf eindringende Weise mit Fragen der Polysexualität auf der politischen und dem Problem des "Loss of Culture" auf der Musikalischen, bzw. technisch-physikalischen Seite. Wieder werden dabei vorhandene Quellen zerschnitten, zerquetscht, gefiltert, verdichtet und gestreckt, um sie einer neuen Struktur zu unterwerfen, oder sie aus ihren kulturellen Gefängnissen zu befreien. Mehr als beeindruckend. Fesselnd. Auch ohne Booklet, denn die Theorie hat der Musik keineswegs geschadet. Im Gegenteil: Sie atmet Ausdruck, Wille Liebe und Utopie. (www.comatonse.com)