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Mann und Frau
Geschlechtslos: "Trans-Sister Radio" (HR)
S. 38 Feuilleton, Medien
 
- Frank Kaspar


In Frankfurter Allgemeine Zeitung (Germany), November 17 2004.

 

Saki ist zufrieden, wenn er sich im Spiegel betrachtet. Er ist nicht groß, hat ein junges Gesicht und eine schlanke Figur. Auf den ersten Blick halten die Leute ihn für eine Frau, wenn er seine Schulmädchen-Uniform trägt. Trotzdem hat er eine Weile gebraucht, bis er sich in diesem Aufzug auf die Straßen von Tokio hinausgewagt hat. "Wahrscheinlich fangen vor die Tür. Einmal um Mitternacht bin ich dann zum nächsten Spielautomaten gegangen und wieder zurück." Starke Nerven braucht, wer ein schüchternes Mädchen werden will.

Mit Anekdoten, Interviews, Show- und Musik-Einlagen erzählt der DJ und Medienkünstler Terre Thaemlitz in seinem Radiostück "Trans-Sister Radio" von einem Spiel mit den Geschlechteridentitäten, das traditionelle Rollenbilder ebenso hinter sich läßt wie die klassischen Fronten der homosexuellen Emanzipationsbewegung. "Transgender", der Schlüsselbegriff des Stücks, umfaßt ein weites Feld, das von gewöhnlicher Travestie bis zu der komplizierten Lebenssituation Transsexueller reicht, die kein eindeutiges biologisches Geschlecht haben. Thaemlitz, der in den achtziger Jahren in New York Kunst studierte unde heute im japanischen Kawasaki lebt, durchmißt dieses Feld seit Jahren mit seinen Konzerten und Performances, die nicht selten in politische Diskussionen übergehen. Sein Radiostück erweitert Musik und Vortrag um stilmittel der Undercover-Reportage, der Stand-up-Comedy und Bekenntnis-Literatur. Thaemlitz, selbst ein "Cross-Dresser" auf der Bühne und im Leben, berichtet selbstironisch von eigenen Erfahrungen in der Grauzone der Geschlechterrollen. In der investigativen Episode "Trans-Portation" sucht er zu klären, ob Sicherheitspersonal abzutasten sing. Es geht aber auch um das Trauma Transsexueller in Amerika, die meist in frühester Kindheit operativ auf ein Geschlecht festgelegt werden.

Mit der von Dietmar Wiesner in eine deutsch synchronisierte Fassung gebrachten Sendung setzt der Hessischer Rundfunk seine Expeditionen in die Außenbezirke des zeitgenössischen Hörspiels fort - dorthin, wo die Radiokunst an Theater, Fluxus und Performance, an elektronische Musik oder politischen Aktivismus grenzt. Die Gattungsgrenzen erweisen sich dabei als Zonen produktiver Überschneidung. Thaemlitz' Stück ist das dritte der Reihe "Kompositions-Thema", die Musiker und Komponisten als politische Hörspielmacher präsentiert. Man kann dem Hörspiel nur mehr programmatische Grenzüberschreitungen dieser Art wünschen, wenn es sich nicht von der Entwicklung und den Debatten benachbarter Künste abkoppeln und ins nostalgische Eck einer Wohnzimmerkunst zurückziehen will.

Heute um 20.05 Uhr bei HR 2.